Kairos und Chronos, Einzelausstellung von Frantiček Klossner im Kunstverein Ruhr, Essen, NRW, 2015, kuratiert von Peter Friese
Ausstellungsansicht Kunstverein Ruhr, Performative Videoinstallation, Frantiček Klossner, 2015
Die Ausstellung im Kunstverein Ruhr wurde ermöglicht durch die Unterstützung der
Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und dem Schweizerischen Generalkonsulat in Frankfurt.
Katalog zur Ausstellung «Frantiček Klossner - Kairos und Chronos», Kunstverein Ruhr, 2015, mit einem Text von Peter Friese und einem Künstlergespräch von Christine Breyhan
Christine Breyhan, Künstlergespräch mit Frantiček Klossner, anlässlich seiner Ausstellung im Kunstverein Ruhr, 2015
Christine Breyhan: In Ihren Werken, spielt das Element Wasser in all seinen Aggregatzuständen eine zentrale Rolle. Seit den 80er Jahren arbeiten sie im Speziellen auch mit dem Material Eis. Zuerst waren es vergängliche Environments für Performances oder Installationen im öffentlichen Raum. 1990 folgten dann die figurativen Arbeiten mit ihrem eingefrorenen Porträt: Melting Selves, Infinite Performance. In zahlreichen Ausstellungen präsentiert, kopfüber aufgehängt kann man dann den unaufhaltbaren Prozess des Abschmelzens verfolgen. Es sind Übergangprodukte: Abschmelzen, Gefrieren, Abschmelzen. Sind Sie eine Art Sisyphos auf der Suche nach der zerrinnenden Zeit?
Frantiček Klossner: Der Begriff „Infinite Performance“ beschreibt die Werkreihe mit meinen „schmelzenden Selbst“ sehr treffend. Der Prozess, die Präsenz und die Dynamik im Raum sind wichtige Aspekte des Werks. Wie ein intimes Ritual lasse ich meinen Kopf immer wieder neu in anderen Konstellationen schmelzen. Das gefrorene Selbst wird als Performer zu meinem Stellvertreter. In unzähligen Ausstellungen und wechselndem Kontext wird der Augenblick zelebriert und ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Kairos siegt über Chronos. Die Chancen und die Faszination des Augenblicks dominieren über die verrinnende Zeit.
CB: Damit sind wir beim Titel ihrer aktuellen Ausstellung hier im Kunstverein Ruhr: KAIROS UND CHRONOS. Sie verweisen auf die Wahrnehmung von Zeit und auf das Erleben des Jetzt. Sämtliche Sinne werden dabei herausgefordert. Was hat es mit der Blickenergie auf sich?
FK: Die Blickenergie und der direkte Kontakt zwischen Werk und Publikum, ist bei all meinen Werken sehr zentral. Die performativ konzipierte Präsentationsform involviert das Publikum in einen sehr physischen Dialog. Die Videoinstallation, die ich hier in Essen zeige, trägt diese Charakteristik besonders deutlich in sich. Das Publikum fühlt sich vom Werk zur Wahrnehmung verführt. Dass die Blickenergie dabei als Teil der performativen Begegnung empfunden wird, ist darauf zurückzuführen, dass sich das Gegenüber stark involviert fühlt. Es gibt kein Nachher, denn nachher ist das Werk bereits ein Anderes. Damit wird Kairos in uns aktiviert, der kleine Gott des Augenblicks, der hoffnungsvolle Gegenspieler von Chronos... Kairos bietet uns die Stirn mit seinem Schopf. Jetzt oder nie! Wir packen die Gelegenheit beim Schopf. Kairos, der ideale Zeitpunkt, der Augenblick der Entscheidung, wird in dieser Ausstellung sehr deutlich fühlbar.
Über einer quadratischen Wasserfläche hängt mein „gefrorenes Selbst“, ein schmelzender Kopf aus Eis. Auf das Wasser projiziert und von dort an die Wand gespiegelt, erscheinen abwechselnd die Videoaufnahmen eines aufmerksam blickenden Auges und das Bild eines nackten jungen Mannes in Embryonalstellung. Durch die fallenden Tropfen, wird die Videoprojektion in rhythmische Lichtbrechungen aufgelöst. Von Augenblick zu Augenblick verflüchtigen sich die Bilder in konzentrischen Wellen und fügen sich sogleich wieder neu zusammen. Die sich ständig wandelnde Projektion wird zum Sinnbild menschlicher Aggregatzustände. Wie fragil und prozessbedingt das „Menschliche“ in uns ist, wird in emotional unmittelbarer Weise visualisiert. Das Individuum wird in seiner ganzen Prozessbedingtheit erfahrbar, wie es beispielsweise von Gilbert Simondon oder Bernhard Stiegler beschrieben wird: „Das Individuum als Prozess, der nicht aufhört zu werden“.
CB: Transformation, Prozess, das Selbst in Veränderung. Ihr perfektes Abbild in Eis, ist in der Ausstellung nur kurze Zeit erkennbar. Im „Treibhaus Museum“ vollzieht sich der Schmelzvorgang vor wechselndem Publikum. Kaum jemand wird die Transformation bis zur vollständigen Auflösung verfolgen können. Irritation und Verwirrung?
FK: Vielleicht sind meine vergänglichen Werke gerade deshalb eine gute Metapher für die „menschlichen Aggregatzustände“, für die Individualisierungsprozesse. Damit ist meine Kunst sehr nahe am Leben. Das Individuum entwickelt sich in biografischen Mäandern. Der Lebensfluss ist nur selten als Ganzes zu beobachten. In diesem Zusammenhang gefällt mir auch der Begriff „Treibhaus Museum“. Es ist ja tatsächlich so, dass die Museen das Denken „antreiben“ und den Besuchern helfen, sich selbst und die eigene Gegenwart zu verstehen um sich einer kreativen Zukunft widmen können. Im „Treibhaus“ werden Initialzellen in ihrem Wachstum angeregt. Irritation und Verwirrung gehören da wie selbstverständlich dazu.
CB: Anders als eine Skulptur aus Bronze oder Stein verliert dieses Kunstwerk seine Form und löst sich auf. Spiegelt diese Unbeständigkeit die Hinfälligkeit der conditio humana wider?
FK: Mich interessieren die Interdependenzen, die Bedingungen in die ein Mensch hineingeboren wird, die Entwicklungsschritte eines Lebens, die Chancen und die nicht existierende Chancengleichheit. Also die fragilen Aspekte des Menschseins. Nicht die Sicherheit. Indem ich meinen „Körper“ schmelzen lasse, setzte ich etwas in Gang, was sehr eng mit dem Leben verknüpft ist. Es hat mit Loslassen zu tun...
Solche Themen wurden besonders klar sichtbar, in der Ausstellung des Hamburger Kunstsammlers Rik Reinking „Existenzielle Bildwelten“ im Museum für moderne Kunst Weserburg in Bremen (2014). Dort hing mein schmelzender Oberkörper an einem Kettenzug kopfüber wie ein geschlachtetes ausblutendes Tier. Im gleichen Raum, neben dem gefrorenen Körper sass Tim Steiner auf einem Sockel und präsentierte seinen nackten Rücken mit dem tätowierten Werk von Wim Delvoye. Zwischen dem lebenden Menschen, dem Datenträger der seine Haut verkauft und meinem abschmelzenden Eiskörper der seine menschliche Form verliert, entwickelte sich ein intensiver Dialog.
CB: Die Prozessualität eines zeitlichen Ablaufs wird sinnlich erfahrbar. Lässt sich ein Abschnitt Ihrer Lebenszeit an den jeweiligen Erscheinungsformen des Kunstwerks ablesen?
FK: Obwohl es sich bei den Kopf- und Körperformen um mein eigenes Abbild handelt, stand meine Person nicht im Zentrum der Arbeit. Das Konterfei schien mir aber ein gültiges und klar dekodierbares Symbol unserer westlichen Kultur zu sein. Beispiele dafür sind Profile auf Münzen, klassische Büsten, die Portraitdarstellungen der herrschenden Klasse. Köpfe repräsentieren unsere Kulturgeschichte. Wenn nun meine Portraitbüste schmilzt, wird eine kulturhistorische Assoziationskette aufgekratzt. Mein Kopf stand nur Modell, er war das Material, das mir jederzeit zur Verfügung stand. Erst im Rückblick werden auch Parallelen sichtbar auf mein Leben und die jeweilige künstlerische Freiheit.
CB: Die Beobachtung, wie die konturierten Gesichtszüge ihres Abbildes sich verwischen, wie sich dunkle Flecken auf dem schmelzenden Eiskörper bilden, wie das Werk als Wasserlache am Boden zerrinnt, hat etwas Gleichnishaftes. Man kann es auch als bedrohlich empfinden.
FK: Ich empfinde es eher als lustvoll. Wenn ich mich öffentlich schmelzen sehe, dann hat es auch immer einen gewissen intimen und sexuellen Aspekt. Wie die verschiedenen Aggregatzustände aufeinanderfolgen, vom explosiv knisternden und knackenden Körper bei Minus 30 Grad, über das Anwachsen des Raureifs in der warmen Museumsluft. Die pelzig zarte Körperbehaarung, die meinem Werk mit dem Raureif wächst, die Fingerspuren der Berührungen vom Publikum, die Fleckenbildung und Farbveränderung beim Abschmelzen und die kristalline Transluzenz des eigenen Körpers,... dies alles empfinde ich eher als erotisch. Hingabe und Auflösung sind äusserst sinnliche Momente in meiner Kunst, die das jeweilige Werk auch sexuell aufladen.
CB: Verschmelzen, Dahinschmelzen, Grenzüberschreitung: Foucault bezeichnet Sex als „Universalschlüssel für Selbsterkenntnis und Selbsthermeneutik“.
FK: Ja der Herr Foucault hat es immer wieder sehr treffend erkannt... Als Idealist bin ich auch der Auffassung, dass das Verstehen und die Selbsterkenntnis immer in etwas Unmittelbarem beginnen, in einer unausweichlichen intuitiven Energie, die dem bewussten Denken weit vorauseilt. Sex und Ekstase sind für mich daher sehr eng mit Kunstschaffen und Kunsterleben verwandt.
CB: Was macht es mit Ihnen, wenn sich Ihr „Selbst“ konturlos und amorph in ein wässriges Nichts auflöst?
FK: Sein „Gesicht zu verlieren“ hat irgendwie immer auch mit Ehrlichkeit zu tun. Es gibt nichts schlimmeres als Politiker und Wirtschaftsbosse, die nur darauf bedacht sind, keinesfalls ihr „Gesicht zu verlieren“. Ich verliere mein Gesicht seit 1990 regelmässig in ganz Europa. Und gewinne dabei immer wieder ein Neues! Im Prozess des Abschmelzens durchläuft mein Abbild sämtliche Formsprachen der Skulpturgeschichte. Von der realistisch figurativen Büste über die verschiedenen Schritte der Abstraktion bis zu seiner vollständigen Auflösung. Die Deformation und Neu-Formation steht im Mittelpunkt. Francis Bacon hat mein Menschenbild und mein Kunstverständnis stark geprägt: „Reality is Pain“ ... alles Starke hat auch eine schmerzliche Komponente. Wir sind fragil und voller Sehnsucht. Darum lieben wir die Kunst. Sie erklärt uns das „Menschliche“ in uns selbst.
CB: Um zu schließen, möchte ich die Irritation erwähnen, die Adorno der Kunst insgesamt zuerkennt: „Dass Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzug es verbergen, nennt den Rätselcharakter unterm Aspekt der Sprache.“ Und dass Künstler etwas darstellen, um es unseren Blicken wieder zu entziehen, weil sie auf die Sichtbarkeit der Arbeit verzichten, muss kein Widerspruch sein. Aber was ist es? Ist es Standhaftigkeit, Verweigerung schneller Konsumierbarkeit oder eine Verhaltensweise zugunsten der Vorstellung?
FK: Vielleicht ist dies eine Spielart der sinnlichen Erscheinungen der Kunst, gerade die Lust am Zweifel und die Lust an der Hinterfragung der Gegenwart. In allem Rätselhaften liegt eine unwiderstehliche Anziehungskraft und Inspiration. Was wir nicht gleich dekodieren können, fasziniert uns oft mehr als das klar Erkennbare. Es weckt unsere Neugier und kitzelt unsere Imagination. Die Vorstellungskraft für die eigenen Horizonte und die Welten anderer wird geschärft. Und wenn das Rätselhafte im Idealfall sogar mit Humor verknüpft ist, dann erliege ich jedes Mal sehr gerne dem Spiel von Gesagtem und Unsagbarem. Dass Kunstwerke etwas sagen und es im gleichen Atemzug verschweigen, das hat für mich wirklich sehr viel mit Erotik zu tun. Adorno würde vielleicht nicht widersprechen!