Portrait des Soziologen Alphons Silbermann, Videoinstallation in zwölf Partituren, Frantiček Klossner, Sonderausstellung zur Jahrtausendwende, 1999
Alphons Silbermann begeistert seit Jahrzehnten mit Ironie, Sprachwitz und entwaffnender Aufrichtigkeit. Der renommierte Soziologe (geb. 1909) hat sein ganzes Leben ungewöhnliche Wege eingeschlagen. Ebenso unorthodox ist auch der Dialog zwischen Silbermann und Klossner. Aus ihrer Freundschaft entwickelte sich ein künstlerischer Dialog der nun in Form einer mehrteiligen Portrait-Videoinstallation vorliegt. In kraftvollen Statements vergegenwärtigt Silbermann sein Lebenswerk und das durchlebte Jahrhundert. Im Nebeneinander der zwölf Videoprojektionen überlagern sich die Gespräche zur mehrstimmigen Partitur. Die Vielstimmigkeit des Denkens wird fühlbar. Silbermanns eindringliche Worte treffen auf sein ebenso eindringliches Schweigen. Das Ineinandergreifen seiner Aussagen, die Gleichzeitigkeit seiner Blicke, die Simultaneität unterschiedlicher Facetten einer Person, entwickeln eine unglaubliche Magie, der man sich nicht entziehen kann. Aus dem freundschaftlichen Dialog zwischen Silbermann und Klossner ist ein dichtes und überaus reiches Werk entstanden.
Faszination auf den ersten Blick
Konrad Tobler, Berner Zeitung BZ, 06. Jan. 2000
Der Medienkünstler Franticek Klossner führte mit Alphons Silbermann einen 2jährigen künstlerischen Dialog und präsentiert im Stadtsaal des Kornhausforums in Bern eine raumgreifende Videoinstallation in zwölf Partituren. Ein multimediales Portrait einer faszinierenden Persönlichkeit !
Dieses Gesicht, diese Gestik, diese Lebendigkeit; Alphons Silbermann, der 90-jährige, grosse alte Herr der deutschen Soziologie, beeindruckt schon rein vom Äusseren her. Das ging auch dem Multimediakünstler Franticek Klossner so. Vor zwei Jahren traf er Alphons Silbermann zum ersten Mal und fasste den Entschluss, ein Videoportrait als Work in Progress zu machen. Die erste Fassung mit dem Titel Das Schaukeln der Bilder hat Klossner jetzt eben fertig gestellt: Zwölf Projektoren werfen in präzisen Rhythmen Bilder an die Wände im grossen Stadtsaal des Kornhausforums in Bern. Aber es sind nicht einfach dokumentarische Abbilder, sondern poetische Zugänge und Annäherungen an Silbermann. Die Arbeit begann mit einem Briefwechsel. Also thematisiert Klossner in vorbeigleitenden Landschaftsbildern die Distanz der Kommunikation und die langsame Begegnung mit einem Menschen. Die Bilder wechseln die Geschwindigkeit – und diese wiederum ist eines der zentralen Themen, die den Soziologen Silbermann immer noch beschäftigen. Silbermann spricht also im Schaukeln der Bilder über die subjektive und die gesellschaftliche Zeit – genau, durchdacht, pointiert. Dem direkten Porträt ist das indirekte der weiterlaufenden, schnellen und gemächlichen Landschaftsansichten nicht entgegengesetzt, vielmehr sind die vielen Teile ineinander verflochten. Man sieht Bilder, schaut auf das Gesicht, hört gebannt zu: Silbermann, der jüdische Gelehrte im Geist der Aufklärung, spricht über Liebe und Freundschaft, Klossner setzt wie in einer grossen Bildersinfonie Aufnahmen von nackten, lustvoll schwimmenden, schwerelosen Menschen hinzu. Silbermann analysiert das Vergessen nach Auschwitz, das er als Soziologe genau registriert hat. Keine Neonazis oder KZ-Bilder: Klossner vermeidet die Klippe der Illustration, die auf der Hand läge, aber dem nichts hinzufügen würde, was Silbermann sagt. Es ist geradezu so, dass die sanfte Bilderflut, die Klossner bewusst inszeniert, zu einer erhöhten Konzentration, zu einer eigentlichen Aufmerksamkeit führt: auf den Inhalt, auf die Bilder, auf die eingespielten Auftritte der Mezzosopranistin Jordanka Milkova oder der Pianistin Anna Sagalova. Dabei hat, wie Klossner erzählt, diese eindrückliche Begegnung und Annäherung im wahrsten Sinne des Wortes durchaus auch ihre ironischen Seiten: Silbermann bemerkte, bevor er Klossner empfing, die einzige Bedingung sei, dass der Künstler die Videokamera bedienen könne... Mit der faszinierenden Ausstellung im Kornhausforum Bern zeigt Klossner, dass er einiges mehr kann.